Die 25-jährige Elvira Herzog ist nicht nur die Nummer 1 im Tor von RB Leipzig, sondern auch im Schweizer Nationalteam – und: Sie ist dabei, das Goaliespiel im Frauenfussball neu zu definieren. Seit dem Bundesliga-Aufstieg von RB Leipzig vor zwei Jahren arbeitet Herzog mit Torwarttrainer Michael Gurski zusammen, «erzählt sie im The Red Bulletin» – und mit ihm an einem radikal neuen Verständnis der Position.
«Torfrauen! Nicht Torhüterinnen! Da fängt es schon an», sagt Gurski gegenüber «The Red Bulletin». Die Unterschiede seien weit mehr als sprachlich: Frauen sind nicht einfach kleinere Männer. Sie haben andere physiologische Voraussetzungen, andere Bewegungsmuster, andere Schwerpunkte – und daraus folgt: Sie müssen auch anders trainiert werden.
Als Gurski 2023 vom Männer- zum Frauenfussball wechselte, stellte er fest: Es existiert keine fundierte Trainingsliteratur für Torfrauen. Gemeinsam mit der früheren Schweizer Nationalspielerin Kathrin Lehmann entwickelte er ein neues Konzept. Im Zentrum: Elvira Herzog. Sie war bereit, diesen Weg mitzugehen – auch auf die Gefahr hin zu scheitern. «Entweder bist du nächstes Jahr die Nummer 1», sagte Gurski zu Herzog damals, «oder wir werden beide ersetzt.»
Die Entscheidung war richtig. Herzog wurde zur Nationaltorfrau ernannt, stand im Freundschaftsspiel gegen Deutschland im Letzigrund auf dem Platz – vor Freunden, Familie, einer eigens organisierten Fankurve. «Ich hätte weinen können vor Stolz», sagt sie in «The Red Bulletin». Doch was macht denn nun genau diese Revolution aus?
Es sind keine spektakulären neuen Übungen. Es ist das Umdenken. Frauen springen anders, holen ihre Kraft aus anderen Muskelgruppen, nehmen Räume und Dynamik anders wahr. All das verändert das Positionsspiel, das Timing, die Rolle in der Defensive. Und die Rolle der Torfrau an sich. «Eine Torfrau ist nicht nur Torfrau, sie ist auch Coach. Sie hat als Einzige das ganze Spielfeld vor sich», sagt Gurski. «Sie erkennt das Momentum.» Etwa nach einem Tor, wenn viele Gegentreffer fallen. Dann ist es ihre Aufgabe, Ruhe reinzubringen. Nicht jubeln – analysieren.
Und was hat sich in Herzogs Training verändert? «Es ändert sich alles – und zugleich nichts», sagt Kathrin Lehmann. «Die Übungen bleiben gleich, aber die Haltung dahinter muss eine andere sein. Entscheidend ist nicht die Technik. Entscheidend ist die Perspektive.» Es gehe weniger um neue Methoden, sondern um das Bewusstsein für unterschiedliche Voraussetzungen. «Man müsse sich nur einfach bewusst machen, dass man eine Frau vor sich hat – eine Frau mit anderen psychischen und physischen Voraussetzungen als ein Mann. Dann stellt man das Training automatisch um. Ich trainiere einen Zehnjährigen ja auch nicht wie einen Hundertjährigen.»
Doch zurück zu Herzog, die einst beim FC Unterstrass begann und über Zürich, Köln und Freiburg nach Leipzig kam: Sie hat sich der Revolution verschrieben. Und auch abseits des Rasens ist sie Vorbild. Ihre Tage sind eng getaktet – Eisbäder, Einzeltraining, Videoanalysen, Kraft, Team, Taktik. «Viele Leute haben keine Vorstellung davon, was eine Fussballerin täglich investiert», sagt sie.
Dass Elvira Herzog die richtige Person ist, um eine neue Ära im Frauenfussball einzuleiten, davon ist Michael Gurski derweil überzeugt. «Sie ist der Prototyp.» Und: «Ich glaube, Elvira hat das Zeug für eine ganz grosse Karriere.»