Als Franjo von Allmen im Januar 2024 zum ersten Mal am Start der legendären Kitzbüheler Streif steht, blickt er in den gähnenden Steilhang und weiss: Gleich folgt die Mausefalle, danach ein Sprung von achtzig Metern. Eigentlich müsste er den Moment ganz der Konzentration widmen. Doch ein ungeschriebenes Gesetz drängt sich vor.
Drei Stockstösse am Start – so beweist man Mut. Franjo zählt im Kopf: eins, zwei … war das schon drei? Der Zweifel dauert nur einen Augenblick. «Zweifel auf der Streif sind gefährlicher als jeder Schlag», schreibt «The Red Bulletin» in einem grossen Porträt über den Ski-Star. Also stösst er sich ein weiteres Mal ab. Lieber unten an der perfekten Linie scheitern als oben am Zaudern.
Der Berner Oberländer, geboren im Sommer 2001, ist der neue Überflieger im Schweizer Speedteam. Sein Aufstieg wirkt wie ein Sprint: Beim dritten Weltcupstart fährt er im Dezember 2023 in Gröden in die Top Ten, kurz darauf folgt in Garmisch sein erstes Podest. Ein Jahr später ist von Allmen schon einer der besten Abfahrer der Welt. Die Saison 2024/25 endet für ihn mit drei Siegen und sieben Podestplätzen – und mit dem grössten Triumph: WM-Gold in der Abfahrt in Saalbach, als jüngster Weltmeister seit 1989.
Dabei ist seine Karriere alles andere als klassisch. Aufgewachsen in Boltigen, lernte er Skifahren wie andere Fussball auf dem Pausenplatz spielen. Rennen? Nebensache. «Was einem als Bub halt so einfällt», sagt er im «The Red Bulletin». «Viel Blödsinn auch.» Schon als Teenager sucht er Geschwindigkeit nicht nur im Schnee, sondern auch auf dem Töff. Das Cross-Bike wird zum Ventil. «Da schimpft niemand, wenn man mal umfällt. Man kann die Sau rauslassen, ohne dass jemand gefährdet ist.»
Mit siebzehn trifft ihn ein Schicksalsschlag: Sein Vater stirbt unerwartet. Ob die junge Karriere weitergehen kann, ist ungewiss. Zusammen mit der Familie startet er ein Crowdfunding – genügend Leute glauben an ihn. Er bleibt dran, kombiniert die Lehre als Zimmermann mit dem Training.
Sein Weg in den Weltcup führt ihn zu Trainer Reto Nydegger, der sofort erkennt, was diesen jungen Abfahrer ausmacht. Von Allmen ist furchtlos, aber nicht leichtsinnig. «Wenn ich einen Fehler mache», sagt er, «denke ich kurz darüber nach, wie ich ihn beim nächsten Mal verhindern kann. Aber ich schaue ihn nicht fünfmal im Replay an.» Risiko verdrängt er nicht – er lässt sich nur nicht lähmen.
Nach einer verhaltenen Phase 2024, als ihn die Diskussionen über seine angebliche Übermut zu blockieren beginnen, zieht das Team die Reissleine. Nur noch Nydegger redet mit ihm über Taktik. Die Folge: drei zweite Plätze. Dann drei Siege. Und WM-Gold.
Auch abseits der grossen Bühnen bleibt von Allmen der unkomplizierte Oberländer, der lieber schraubt als repräsentiert. Zu Hause in Boltigen teilt er sich mit seinem Bruder das alte Elternhaus, im Sommer reist er mit dem Cross-Töff durch Europa. «Man ist draussen, riecht Erde, Benzin, frische Luft», sagt er.
Doch sobald die Schneekanonen laufen, wechselt er zurück auf die Ski. Dort findet er die perfekte Verbindung aus Unbekümmertheit und Respekt – jene Mischung, die ihn so schnell an die Spitze gebracht hat. Und die darüber entscheiden könnte, wie lange er dort bleibt.