Coopzeitung Weekend

Straight outta History

«Explicit Content» – dieser Sticker ist auf fast jeder Hip-Hop-­Scheibe zu finden. Doch Hip-Hop ist mehr als böse Worte. Er startete als Stimme der Armenviertel und hat sich zu einer der beliebtesten ­Musikrichtungen der Popkultur entwickelt. Wir werfen einen Blick in die Geschichtsbücher.

70er

Wir schreiben das Jahr 1973, die South Bronx in New York steht wortwörtlich in Flammen. Armut, Kriminalität, Gangs, und Drogen bestimmen den Alltag im vor allem von Schwarzen bewohnten Armenviertel. Mittendrin beginnt Kool DJ Herc auf den berühmten Block-Partys Beats aus Funk-, Soul- oder Discosongs zu neuen Tracks zu montieren. B-Boys und -Girls ­zeigen dazu ihre Breakdance-Moves. Und die Kids können auf den Strassenpartys immerhin ein bisschen aus ­ihrem harten Alltag entfliehen. Als einer der innovativsten DJs der Zeit gilt Grandmaster Flash, der die Kunst am Plattenteller auf ein neues Level hob und Mix-Techniken erfand. 1977 tat sich der DJ mit seinen «Furious Five» zusammen. Kein Einzelfall, denn im Laufe der 70er wurden DJs immer öfter von MCs (Masters of Ceremony) begleitet, die damals dafür zuständig waren, die Menge zum Feiern zu animieren: die Geburtsstunde des Rap. Die Popularität des Sprechgesangs stieg, die Einlagen wurden länger, bis 1979 die Fatback Band mit ihrem «King Tim III (Personality Jock)» die erste Hip-Hop-Single herausbrachte. Nur eine Woche später erschien «Rapper’s Delight» der Sugarhill Gang. Ein unerwarteter Erfolg, der die Bewegung von der Strasse in die Wohnzimmer jenseits der sozialen Brennpunkte katapultierte.

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80er

Nach «Rapper’s Delight» war klar, dass sich mit Hip-Hop Geld verdienen lässt. Rap fand Einzug in die Popkultur. ­Konzerte gab es nicht mehr nur auf den Strassen der Armenviertel und auch weisse Musikerinnen liessen Rap-Elemente in ihren Sound einfliessen, wie etwa Blondie in «Rapture». Anfang der 80er war zudem die Geburtsstunde des New School Hip-Hop. Neu waren vor allem die schnellen Reime und Beats, die mit Rock-Elementen gemischt wurden, etwa von Run-D.M.C. oder den Beastie Boys, einem Trio aus weissen Musikern. Im Laufe der 80er wurden die Texte zudem sozial­kritischer. Daraus entstand der sogenannte Conscious Rap. Wenn du dir darunter nichts ­vorstellen kannst, musst du dir «It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back» von Public Enemy reinziehen – hart und hochpolitisch. Gleichzeitig stieg an der ­Westküste Amerikas ein weiteres Subgenre zum Kassenschlager auf: Gangsta-Rap. Die Songs von Ice-T, N.W.A (mit Dr Dre und   Eazy-E) & Co. bestachen durch aggressive Texte, die von ihrem kriminellen Umfeld in den Vororten von Los ­Angeles handelten – eben «Straight Outta Compton». 

Walk this way: Lego Creator 10282 Adidas Originals Superstar, Fr. 109.–, bei Coop City.
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90er

Dank des Erfolgs des Gangsta-Raps tummelten sich West­coast-Künstler auch in den 90ern an der Spitze der Charts. Die berühmtesten Vertreter waren 2Pac, Dr. Dre und Snoop Dogg. Das hatte zur Folge, dass New York nicht mehr das Hip-Hop-Zentrum Amerikas bzw. der Welt war. Und das, obwohl auch in New York aussergewöhnliche Rapper am Werk waren, zum Beispiel der Wu-Tang Clan. Immerhin gilt deren «Enter the Wu-Tang (36 Chambers)» aus dem Jahr 1993 als eines der besten Alben der Hip-Hop-­Geschichte – «hood», düster und überraschend mystisch. Die 90er waren zudem ­geprägt von einer Fehde zwischen East- und Westcoast. Im Zentrum dieses «Kriegs» standen 2Pac im Westen und The Notorious B.I.G. im Osten. Erst nachdem beide nur ein halbes Jahr nacheinander erschossen wurden, begrub man das Kriegsbeil. Doch in den 90ern wurde nicht nur gestritten. Vor allem die zweite Hälfte des Jahrzehnts war von vielen musikalischen Neuerungen geprägt. Immer mehr Einflüsse aus Reggae, Dance­hall, Soul oder R & B schlichen sich in den Hip-Hop-Sound ein. Das Paradebeispiel sind die ­Fugees oder Lauryn Hills Soloalbum «The Miseducation of Lauryn Hill» (1998).

Ghetto Symphony: Soundmaster SRR70TI Digitalradio, FR. 89.95, microspot.ch.
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00er

Orientiert man sich an den Verkaufszahlen, hatten die Gangsta-Rapper und ihre Nachfolger der Westküste lange die Nase vorne. Während der Jahr­tausendwende machte jedoch eine weitere Szene auf sich aufmerksam: ­Detroit. Ihr berühmtester Vertreter Eminem steht sinnbildlich für den Wandel, den Hip-Hop während der 00er-Jahre vollzogen hat. Denn wer hätte gedacht, dass ein weisser Rapper aus Detroit so einschlagen würde? Das wurde unter anderem durch den kommerziellen Erfolg des Hip-Hops möglich. Dank der vielen Crossover-Einflüsse wurde Hip-Hop innovativer und vielseitiger. Zudem trat das «Gstürm» um East- und Westcoast in den Hintergrund. Wie sonst wäre es möglich gewesen, dass Dr. Dre aus L. A., Eminem aus Detroit unter Vertrag nahm, der seinerseits 50 Cent aus New York pushte? Eine Innovation der 00er war auch ein Studiotool, das der Stimme einen roboterhaften Klang verlieh: Autotune. Der Erste, der den Effekt als Stilmittel einsetzte, war der Sänger T-Pain – so erfolgreich, dass auch andere auf den Zug aufsprangen. Zum Beispiel Kanye West, der 2008 mit «808s & Heartbreak» ein komplettes Album mit verzerrter Stimme herausbrachte. Das kam bei vielen nicht gut an. Autotune war bei eingefleischten Fans nämlich verpönt.


2010 bis heute

Was bei Kanye 2008 noch nicht ging, ist nun das Markenzeichen einer ganzen Hip-Hop-Generation, die vor einigen Jahren von den US-Südstaaten aus den Globus erobert hat. Trap zeichnet sich durch ebendiese verzerrte Stimme sowie harte Bässe und sogenannte Ad-Libs aus. Die Rapper ahmen dabei mit der Stimme Pistolenschüsse, Tierlaute oder andere Geräusche nach. Auch wenn die Wurzeln des Subgenres bis in die 90er reichen, gehen Trap-Künstler wie Migos oder so ziemlich jeder Rapper mit «Lil» im Namen erst seit den 2010ern damit durch die Decke. Auch sonst tut sich viel. Nach Vorreiterinnen wie Lil’ Kim (ein «Lil», das ausnahmsweise nichts mit Trap zu tun hat) oder Lauryn Hill machen immer mehr Rapperinnen (z. B. Nicki Minaj) auf sich aufmerksam. Hip-Hop ist heute nicht nur Mainstream, sondern auch vielseitig ­geworden. Das zeigen zwei der gerade angesagtesten Künstler beispielhaft. Dass Drake aus Kanada kommt, sagt schon einiges. Und Kendrick Lamar stammt zwar aus der Hip-Hop-Hochburg Compton, 2018 ­wurde sein Album «Damn.» jedoch mit einem ­Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Gangsta ist das nicht, aber schon ziemlich cool, oder?

Coopzeitung Weekend

Mit Coopzeitung und 20 Minuten spannen die beiden grössten Zeitungen in der Schweiz zusammen, um ein neues, trendiges Magazin kurz vor dem Wochenende zu lancieren. Ab sofort erscheint «Coopzeitung Weekend» jeden Freitag dreisprachig im Print und Online von 20 Minuten.