Coopzeitung Weekend

No one killed the Video Star

Wie Musikvideos das Radio ins Jenseits befördern ­konnten, und warum Videoclips auch im ­Internet-Zeitalter nicht totzukriegen sind.

«Video Killed the Radio Star»: Passender könnte der Titel des ­ersten Musikvideos, das 1981 auf dem Musiksender MTV über die Bildschirme flimmerte, nicht sein. Doch streng genommen gab es ­Videoclips schon vor dem Musikfernsehen. Queen hat zum Beispiel bereits 1975 ein Promotionsvideo zu «Bohemian Rapsody» rausgehauen. Und auch Bands wie ABBA oder die Beatles griffen auf Videos zurück, um die Verkaufszahlen ihrer Musik anzukurbeln. Welches das ­erste Musikvideo war, ist also Auslegungssache. Der Zweck der Kurzfilme, die einen Song visuell umsetzen, ist jedoch bei allen gleich: Vermarktung. Diese Aufgabe, die zuvor das Radio übernommen hatte, war ab den 80ern also jene von MTV, Viva & Co. Deshalb scheute man sich auch nicht, für die Clips tief in die Tasche zu greifen. Das Video zu Michael Jacksons «Thriller» (1983), ein fast 14-minütiger Teenie-­Horror-Film, kostete schätzungsweise eine halbe Million Dollar. Das war damals viel Geld, doch trotzdem nichts gegen das teuerste Musikvideo aller Zeiten: Taylor Swifts «Look What You Made Me Do» (2017) kostete stolze 12 Millionen Dollar. Doch bei Musikvideos geht es nicht nur ums Geld. Sie stehen auch für ein eigenes filmisches ­Genre. Kein Zufall, dass sich auch bekannte Filmregisseure an den Clips versuchen. Sofia Coppola etwa wagte sich von der Kinoleinwand weg, um für The White Stripes’ «I Just Don’t Know What To Do With Myself» das Supermodel Kate Moss an der Stange tanzen zu lassen. Allgemein bedienen sich Musikvideos oft bei der Ästhetik des Kinos, doch das geht auch umgekehrt. Regisseur David Fincher zum Beispiel hat, bevor er für Filme wie «Fight Club» (1999) gefeiert wurde, ikonische Musikvideos, etwa zu Madonnas «Vogue» (1990), gedreht. So ­wurden Videoclips zu einer eigenen Kunstform – irgendwo zwischen Kunst, Unterhaltung und Kommerz. Mittlerweile hat sich zwar viel getan: Viva gibts schon ein Weilchen nicht mehr und MTV zeigt heute Trash-TV-Formate statt Clips. Trotzdem hat das Internet den «Video Star» nicht gekillt. Seit den 00er-Jahren führte die kommerzielle Krise der Musikindustrie dazu, dass weniger Geld für Musikvideos ausgegeben wird. Doch über Plattformen wie Youtube werden die Clips weiterhin zu Promo-Zwecken eingesetzt und noch schneller um den Erdball geschickt. Seit ein paar Jahren durchleben wir sogar eine Videoclip-Renaissance. Dank Beyoncé, Kanye West und Co. sind coole Musikvideos noch lange nicht tot.

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Die Politischen

Die erste Einstellung zeigt einen Stuhl, auf dem eine Gitarre steht. Ein Mann setzt sich hin und beginnt, auf dem ­Instrument zu spielen. Donald Glover alias Childish Gambino kommt ins Bild und tänzelt ulkig zum Intro seines Songs «This Is ­America». Dann zieht der Rapper eine Pistole heraus und schiesst dem Gitarrenspieler in den Kopf. Ganz schön brutal, muss das in einem Musikvideo wirklich sein? Ja! Denn der Interpret will mit diesem brutalen und gleichzeitig absurden Video seine Sicht auf seine Lebens­realität zeigen. Das Video soll deshalb schockieren, weil es uns zum Hinschauen zwingt. Weil es aufzeigen soll, wie Rassismus in den USA funktioniert. Im selben Jahr, also 2018, hauen The Carters zu ihrem Song «Apeshit» ein ebenso politisches wie ästhetisches Musikvideo raus, das sich gewaschen hat. Symbolträchtig zelebriert das Duo ­Beyoncé und Jay-Z sozusagen im Zentrum der «weissen ­Kultur» – im Pariser Louvre – die Schönheit und Vielfalt Schwarzer ­Körper. 2018 scheint ein grosses und vor allem politisches Jahr in der Geschichte des Musikvideos zu sein. Denn Janelle ­Monáe feierte im selben Jahr im Video zu «Pynk» ebenso kraftvoll wie die Carters, aber ein bisschen pinker, die Stärke des oft als schwach betitelten weiblichen Geschlechts – mit ­stolzen Frauen in pinken «Vulva-Hosen».

Die Lustigen

Was es im Jahr 2005 brauchte, um viral zu gehen, bevor «viral gehen» als Begriff richtig existierte? Ein paar Laufbänder und eine ausgefeilte Choreografie. Das Video zu OK Gos «Here It Goes Again» hat eigentlich nichts, was man von einem guten Clip erwarten würde. Es zeigt vier komische Typen in ­kuriosen Outfits, die zu Indiemusik auf Laufbändern rumhüpfen. ­Super «low budget» produziert, aber sehr lustig. Zehn Jahre später sah die Welt zwar ein bisschen anders aus. Doch auch 2015 konnte man mit einer lustigen Tanzperformance die Leute begeistern. Ein kanadischer Rapper konnte dank seiner Moves sogar zum absoluten Meme-König aufsteigen. Obwohl im ­Video zu «Hotline Bling» von Drake nicht wirklich viel ­passiert. Doch die Tanzeinlagen, die der Rapper in seiner orangen ­Bomberjacke hinlegt, sind – gewollt oder nicht – so ulkig, dass das Internet gar nicht anders konnte, als sich darüber lustig zu machen. Und da wären wir wieder: Ein Musikvideo geht ­viral! Doch für den Klamauk-Kultstatus eines Videoclips braucht es das Netz gar nicht. Denn schon 1984 sorgten Queen mit «I Want To Break Free» für Lacher. Im Clip verkleideten sich die Bandmitglieder nämlich als überspitzte Versionen von Vorstadthausfrauen. Das Highlight: Freddie Mercury, der im knappen Ledermini staubsaugt.

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Die Ikonischen

Man kann nicht über ikonische Musikvideos schreiben, ohne Michael Jacksons «Thriller» (1983) zu erwähnen. Die tanzenden Zombies wurden 2009 sogar als erstes Musikvideo in das ­National Film Registry aufgenommen. Dort zwar nicht aufgelistet, aber nicht weniger ikonisch ist das Video zu a-has «Take On Me» (1985). Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die in einem Comicheft blättert und dann vom Held des Cartoons – Leadsänger Morten Harket – in seine animierte Welt hineingezogen wird. Und diese ist nicht nur für die 80er richtig cool gestaltet. Nicht mit Cartoons, aber mit anderen Effekten arbeitet das Video zu «Sledgehammer» (1986) von Peter ­Gabriel. Die aufwendige Produktion mit Stop-Motion-Effekten zeigt Gabriel in einer animierten Welt voller Knetmasse und Spielzeugeisenbahnen. Dass man den Ikonen-Status erreichen kann, ohne Spezialeffekte draufzuhaben, beweist der Clip zu «­Weapon of Choice» (2001) von Fatboy Slim. Das Erfolgs­rezept eines der coolsten Videos aller Zeiten: Regisseur Spike Jonze und Oscarpreisträger Christopher Walken. Mit solchen Namen braucht es auch keinen ausgeklügelten Plot. Es reicht, dass Walken alleine in der Hotellobby sitzt und dann anfängt zu tanzen. Du findest das langweilig? Dann hast du dieses ­Video eindeutig noch nicht gesehen.

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Die Skandalösen

Viel nackte Haut, brennende Kreuze und dann macht sie sich auch noch an einen Mann ran, der wie ein Schwarzer Jesus Christus daherkommt: Uiuiui, was für einen Shitstorm ­Madonna 1989 mit ihrem Video zu «Like A Prayer» auslöste. Da hat sich auch gleich der Vatikan eingeschaltet. Der Clip ­wurde zeitweise sogar verboten. Ebenso auf den Index schaffte es «Smack My Bitch Up» von The Prodigy (1997). Aus einer subjektiven Kameraperspektive begleitet uns der Clip durch eine Nacht voller Exzesse – Drogen, Sex, Erbrochenes und viel Aggressivität. Nicht jedermanns Sache, aber in seiner ­Ästhetik bis heute einzigartig. Fast schon züchtig dagegen ist Miley ­Cyrus’ Video zu «Wrecking Ball» (2013). Doch auch das ­sorgte für einen Aufschrei, weil die Sängerin leicht bekleidet auf ­einer Abrissbirne baumelt – und dann den Hammer ableckt. Und ja, ein Skandälchen mit einem Videoclip auslösen, geht heute noch. Lil Nas X brach im Clip zu «Industry Baby» (2021) mit Klischees und Tabus, indem er seine Homosexualität zelebrierte – bewusst überspitzt … mit nackten, tanzenden ­Männern … im Knast … in einem Hip-Hop-Video. Die Konservativen schrien auf, die anderen schrien: «Hell yeah!»

Manche Videos brauchen keine Politik, keinen Humor und ­keine Skandale, um zu überzeugen. Sie sind schlichtweg Kunst. Auch wenn in Musikvideos besonders gerne getanzt wird, so gut wie die zwölfjährige Tänzerin Maddie Ziegler im Video zu Sias «Chandelier» (2014) hat es kaum jemand drauf. ­Irgendwie absurd, aber auch richtig cool, wie sie da mit blonder Perücke und hautfarbenem Body durch die verlassene Wohnung tanzt. Apropos Tänzerinnen: In einem Hip-Hop-Video würde man ja alles erwarten, aber keine Ballerinas. Da haben wir jedoch die Rechnung ohne Kanye West gemacht. In seinem Video zu «­Runaway» (2010) werden nämlich genau solche Tänzerinnen wunderschön in Szene gesetzt. Und «last, but not least» ­müssen wir nochmal über die Königin der Musikvideos reden. ­Beyoncé hat zum Beispiel ihr Album Lemonade (z. B. «Hold Up» und «Formation») 2016 auch als Video herausgebracht: symbolträchtig, ästhetisch und einfach saumässig stark.

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