Coopzeitung Weekend

Ich sehe was, was du auch siehst

Grimmige Autos, ein lachender Hydrant, der Mann im Mond – wir sehen überall Gesichter und Figuren. Dieses Phänomen hat einen Namen: Pareidolie.

Es ist wohl einer der ältesten Zeitvertreibe überhaupt: Formen in den ­Wolken erkennen. Was für uns ein Spiel ist, ist für unser Hirn «daily business». Um die Fülle an visuellen Eindrücken ordnen zu können, die im Alltag auf uns einprasseln, speichert das Gehirn ­alles in ­einer Datenbank. Neue Bilder, die es durch die Augen erhält, gleicht es mit dieser Datenbank ab. Zudem ist es auch noch mit ­einer Autovervollständigungs-Software ausgerüstet, die einzelne Anhaltspunkte zu bereits bekannten Formen ergänzt. Das Phänomen heisst ­«Pareidolie», zusammengesetzt aus den griechischen Wörtern «Para» (neben oder gegen) und «Eidolon» (Bild oder Form).

Vor allem auf Gesichter sind wir sensibilisiert, denn sie sind ­entscheidend für soziale Interaktion. Zwei Punkte und ein Strich reichen schon, um darin ein Gesicht zu erkennen. ­Britische Forscher haben nachgewiesen, dass diese Gabe sogar schon vor der Geburt vorhanden ist: Mit Licht projizierten sie schematisierte Gesichter auf den Bauch ­schwangerer Frauen. Und siehe da: Die Babys im Mutterleib drehten ihre Köpfchen zu den «Gesichtern». Wurden diese verkehrt herum projiziert, taten sie das nicht. Wir sehen also ­überall Gesichter: im Kaffeeschaum, in ­Astlöchern, in Küchengeräten. Die Autoindustrie hat sich ­diese ­Tatsache zunutze gemacht und erzeugt mit den ­«Gesichtern» der Fahrzeuge emotionale Bin­dungen. Und in manchen Fällen führt uns die Pareidolie in die Absurdität oder verrät ­unser Innerstes – wie in ­unseren prominenten ­Beispielen auf der rechten Seite.

Wolken deuten: Ibili Ausstecher-Set Wolke, Fr. 11.90/4 Stk., bei Fust.
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Ganz viele Gesichter: Fairtrade Schoko & Nuss Spitzbuben, Fr. 3.95/250 g, bei Coop.
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Mars-Gesicht

Für Riesenaufregung sorgte 1976 ein Foto, das die Marssonde «Viking 1» zur Erde sandte. Eine Felsformation wurde so von der Sonne angeleuchtet, dass sie aussah wie ein Gesicht. Das rief natürlich sofort ­Verschwörungstheoretiker auf den Plan, die intelligentes Leben auf dem Mars witterten. 25 Jahre hielt sich die ­Legende. 1991 schickte die NASA eine neue Sonde auf den roten Planeten und enttarnte die Täuschung: Die Aufnahme aus einem ­anderen Winkel ­zeigte, dass die Felsformation keinerlei menschliche Züge aufwies.

Rorschach-Test

Auf dem Prinzip der Pareidolie basiert auch der Persönlichkeitstest des Schweizer Psychiaters und Psychoanalytikers Hermann ­Rorschach (1884–1922): Die Formen und ­Figuren, die eine Testperson in einem bestimmten Tinten­klecks erkennt, sollen Rückschlüsse auf ihre Persönlichkeit zulassen. Die Aussagekraft des Tests ist allerdings stark umstritten, weil die Faltbilder mit den Klecksen eigentlich nichts darstellen. Dennoch wird der Test in den USA sogar vor Gericht eingesetzt.

Jesus-Toast

Auch in geröstetem Brot entdeckt man ­Gesichter – in den letzten Jahren sogar immer öfter jenes von Jesus. Ein plötzlicher Glaubens-Boom? Wohl kaum. Eher liegt es mal wieder an der lieben Kohle: Im Jahr 2004 verkaufte eine Frau in Florida ein zehn ­Jahre altes Käsebrot, das angeblich ans Antlitz der Jungfrau Maria erinnert, für sagenhafte 28 000 Dollar. Seither werden im Internet mit schöner Regelmässigkeit Toasts versteigert, in denen man die ­Gesichter von Prominenten erkennen soll.

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Mit Coopzeitung und 20 Minuten spannen die beiden grössten Zeitungen in der Schweiz zusammen, um ein neues, trendiges Magazin kurz vor dem Wochenende zu lancieren. «Coopzeitung Weekend» erscheint jeden Freitag dreisprachig im Print und Online von 20 Minuten.