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Eiger, Mönch und Mythen – die besten Sagen der Schweiz

Fantasy ist keine Erfindung von Edgar Allan Poe oder J.R.R. Tolkien. Schon seit Urzeiten erzählen sich die Menschen spannende Geschichten von übersinnlichen Ereignissen und fantastischen Kreaturen. Was eine Sage ausmacht und warum die Schweiz besonders viele davon hat.

Text: Fabian Kern / Illustration: Dieter Stocker / Foto: Stocksy

Wenn die Tage kurz sind, die Bäume kahl und die Nebelschwaden mystisch, dann haben Geschichten mit Feen, Zauberern und Monstern Hochkonjunktur. Schon lange bevor es Fernseher oder sogar Bücher gab, sass man zusammen und erzählte sich Geschichten. Wenn eine dieser Storys weitererzählt wurde, war das bereits eine Sage (=etwas, das jemand gesagt hat). Und auch wenn es schwierig ist, den Wahrheitsgehalt einer Sage zu ermitteln, gilt es, sie vom rein erfundenen Märchen abzugrenzen: Eine Sage soll geglaubt werden. Die Schweiz ist im europäischen Vergleich ziemlich arm an Märchen, hat aber stolze 20 000 publizierte Sagen. Das verdanken wir unserer Topografie. Die Berge mit ihrer unberechenbaren Natur haben den Menschen früher oft Angst eingejagt. Ob Gewitter, Lawinen oder Bergstürze: Dahinter vermutete man schnell das Werk des Teufels oder eine Strafe Gottes. Deshalb wird die Sage oft mit einem erhobenen Mahnfinger erzählt: Sieh, was dir blühen kann, wenn du dich unmoralisch verhältst! Wir stellen dir ein paar der populärsten Schweizer Sagen vor.

Wallis: Die Fee von Evolène

Unter einem Felsen im Val d’Hérens im Wallis lebte eine Fee. Sie vermisste den Kontakt zu den Menschen, obwohl sie von diesen als vermaledeite Fee beschimpft wurde. Nur dem Holzfäller Antoine gefiel sie, und er hielt um ihre Hand an. Sie sagte Ja – unter der Bedingung, dass er sie nie verspotten dürfe. Die beiden lebten glücklich, hatten eine Tochter und dank der Fee genug Geld. Doch die Leute im Dorf waren neidisch. Sie setzten böse Gerüchte in die Welt, die Antoine so lange zermürbten, bis er seine Frau schliesslich doch beschimpfte. Sie verschwand und kehrte erst zurück, nachdem er den Test bestanden hatte, sie nach Mitternacht in der Gestalt einer grauenhaften Schlange zu küssen. Und sie lebten glücklich.


Neuenburg: La vouivre

In den «Gorges d’Areuse», einer Schlucht in der Nähe von Neuenburg, terrorisiert «La Vouivre» («Lindwurm») die Menschen: ein riesiges Monster mit dem Körper einer Schlange und den Flügeln einer Fledermaus. Ein mutiger Einwohner von Saint-Sulpice NE stellt sich dem Untier. Er lockt den Lindwurm mit einem Kalb und flüchtet in ein Wachhäuschen, das mit Eisenstacheln besetzt ist. Darauf findet der Lindwurm den Tod. Leider wird der Held gebissen und stirbt am Gift der Kreatur. Als Ehrerbietung werden seine Nachkommen von den Steuern befreit.


Uri: Die Teufelsbrücke

Der reiche Vogt von Göschenen schafft es nicht, in der Schöllenenschlucht eine Brücke über die wilde Reuss zu bauen. Er schreit: «Kann denn nur der Teufel eine Brücke bauen, die stabil genug für diesen verdammten Fluss ist?» Da erscheint der Teufel und verspricht eine steinerne Brücke – zum Preis der ersten Seele, die sie überquert. Der skrupellose Vogt geht darauf ein. Als niemand die neue Brücke überqueren will, schickt ein Hirte einen Geissbock darüber. Wütend lässt der Teufel einen Steinschlag über die Brücke regnen, der den Vogt in die Tiefe reisst. Der Teufel hat seine Seele bekommen.


Ganzer Alpenraum: Sennentuntschi

Vielleicht kennst du Michael Steiners gleichnamige Verfilmung dieser populären Sage: Notgeile Sennen basteln eine Strohpuppe als Gespielin für einsame Stunden. Als sie die Puppe im Übermut auch noch taufen, erwacht das Sennentuntschi zum Leben und rächt sich erbarmungslos für den ketzerischen Akt und dafür, dass sich die Sennen an ihr vergangen haben. Die Sage des Sennentuntschi kommt in verschiedenen Ausprägungen im ganzen deutschsprachigen Alpenraum vor und erinnert an die antike Geschichte des Pygmalion.

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