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Disney vs. Original: Erzähl (k)ein Märchen!

Disney bedient sich gerne bei anderen, um an gute Geschichten zu kommen. Doch die süssen Trickfilme weichen oft ziemlich vom Original ab. Ein paar Beispiele.

Text: Julia Gohl, Illustration: Dieter Stocker, Foto: Alamy, © Disney, Shutterstock

Peter Pan (1953)

Dass Peter Pan für immer ein Kind bleibt, mag Magie sein. Dass seine «verlorenen Jungen» nie erwachsen werden, hat hingegen einen ziemlich düsteren Hintergrund – zumindest im Original des schottischen Schriftstellers J. M. Barrie von 1902: Werden sie zu alt, bringt Peter Pan sie ganz einfach um. Kein Wunder, dichtete Barrie Käpten Hook erst dazu, als er aus dem Buch ein Theaterstück machte. Der Junge, der gerne fremde Kinder aus ihren Betten entführt, reicht ja eigentlich als Bösewicht.

Dornröschen (1959)

Wer die Grimm-Version dieser Geschichte kennt, dürfte nicht allzu viele Unterschiede zwischen Märchen und Film entdecken. Aber auch die Brüder Grimm haben bloss Geschichten niedergeschrieben, die schon lange in verschiedenen Varianten kursieren. Und für einmal waren die deutschen Märchenonkel nicht die brutalsten. In der Fassung von Giambattista Basile aus dem Jahr 1634 gehts heftiger zu. Dort wird die schlafende Prinzessin von einem König, der zufällig an ihrem Schloss vorbeikommt, vergewaltigt. Dornröschen wird dabei schwanger und bringt – noch immer schlafend – Zwillinge zur Welt. Einer von ihnen nuckelt an ihrem Finger und entfernt dabei das Stück Flachs, das für ihren langen Schlaf verantwortlich ist. Das wache Dornröschen verliebt sich doch tatsächlich in ihren Vergewaltiger, dessen Frau so eifersüchtig ist, dass sie die Zwillinge kochen lassen und verspeisen möchte. Der Plan geht schief, der König lässt seine Frau töten und heiratet stattdessen seine Babymama. Happy End? Naja.

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Bambi (1942)

Gruselautor Stephen King meinte einst, «Bambi» sei der erste Horrorfilm gewesen, den er je gesehen hat. Wer sich an die Szene erinnert, als Bambis Mutter vom Jäger erschossen wird, weiss weshalb. Wenn du davon auch noch bis heute traumatisiert bist, sei dir gesagt: Zum Glück hast du nicht das Original gelesen. Denn in der Buchvorlage ist die Jagdszene ein wahres Gemetzel, bei der Bambi etwa über den verblutenden Hasen stolpert, der wohl den Disney-Charakter Klopfer inspiriert hat. Viel spannender an der Buchvorlage des österreichischen Schriftstellers Felix Salten aus dem Jahr 1923 ist allerdings, dass sie als Gleichnis für die Behandlung von Juden in Europa gilt. Später wurde das Buch von den Nazis verbrannt. Dass ausgerechnet der oft als Antisemit gehandelte Walt Disney sich diesem Stoff annahm, dürfte deshalb viele erstaunen.

Aladdin (1992)

Was für ein Romantiker dieser Aladdin doch ist. Da würde ihm ein Genie jeden Wunsch erfüllen, aber er will eigentlich nur Prinzessin Jasmin. Im orientalischen Originalmärchen aus 1001 Nacht hingegen ist der Taugenichts, der übrigens keinen fliegenden Teppich und ausser seiner Mutter keine Freunde hat, ganz schön geldgeil. Er wünscht sich nicht nur die Prinzessin, sondern auch Reichtum und ein Schloss. Und den Bösewicht? Den vergiftet er. Später ersticht er auch noch dessen Bruder. Ganz schön kaltblütig.

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Pocahontas (1995)

Für einmal hat sich Disney einer wahren Geschichte bedient: Häuptlingstochter Amonute – Kosename Pocahontas («die Verspielte») – glaubte an das friedliche Zusammenleben ihres Volkes mit den Kolonialisten. Deshalb rettete sie dem englischen Söldner John Smith auch das Leben, als ihr Vater diesen töten wollte. Damals war sie allerdings erst elf. Eine Liebesbeziehung wie bei Disney war also nie Thema. Später wurde Pocahontas von den Engländern sogar als Geisel gehalten. Sie musste konvertieren, wurde auf den Namen Rebecca getauft und schliesslich mit einem Kolonialisten verheiratet. Dieser nahm sie mit nach England. Bevor sie nochmals in ihre Heimat fahren konnte, starb Amonute mit nur 22 Jahren.

Arielle die Meerjungfrau (1989)

Bei Disney hat Arielle an Land ja durchaus ihre Schwierigkeiten – etwa mit den Tischsitten. Das ist allerdings kein Vergleich dazu, was die Nixe in Hans Christian Andersens «Die kleine Meerjungfrau» (1837) durchmacht. Das Leben an Land ist für sie nämlich mit konstanten Schmerzen verbunden. Und am Schluss heiratet ihr Prinz auch noch eine andere. Die Meerhexe bietet der Ex-Nixe aber einen Deal an: Wenn sie den Prinzen ersticht, wird sie wieder zur Meerjungfrau. Doch am Schluss entscheidet sie sich dagegen und nimmt sich stattdessen selber das Leben.

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Pinocchio (1940)

In der Geschichtenreihe des italienischen Autors Carlo Collodi aus den 1880er-Jahren stellt Pinocchio ganz schön viel Sch… ähm … schlimme Sachen an, bei denen er mehrfach fast draufgeht. So brennt er sich etwa aus Versehen seine Füsse weg und bringt ebenfalls unabsichtlich eine sprechende Grille um – armer Jiminy. Am Ende kriegt er die Rechnung dafür und wird für all seine Missetaten erhängt.

Schneewittchen (1937)

Der Königin passt es gar nicht, dass ihre Stieftochter hübscher ist als sie. Welch guter Grund, jemanden umzubringen! Das versucht sie in der Version der Brüder Grimm gleich mehrfach. Die ersten beiden Male können die Zwerge Schneewittchen noch retten, beim vergifteten Apfel nicht mehr. Und weil die Zwerge die Tote zu hübsch zum Begraben finden, stecken sie diese in einen gläsernen Sarg. Da kommt ein Prinz vorbei, der die Leiche im Glassarg sieht und bei sich im Schloss aufstellen will. Creep! Als er sie mitnehmen möchte, fällt ihm allerdings der Sarg herunter, wodurch sich der Apfel aus Schneewittchens Hals löst. Sie wacht auf, die beiden heiraten und rächen sich bei der Hochzeit, indem sie die Königin in heissen Eisenschuhen tanzen lassen, bis sie stirbt. All das hätte sich verhindern lassen, wenn es die Zwerge einfach mit dem Heimlich-Griff versucht hätten …

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Hercules (1997)

Dem wahren Hercules, also jenem aus der griechischen Mythologie, könnte Hades – bei Disney der Bösewicht – nicht egaler sein. Denn wer es eigentlich auf den starken Burschen abgesehen hat, ist Hera. Die ist nämlich nur im Film seine Mutter. In Wirklichkeit ist Hercules das Ergebnis einer weiteren Affäre ihres Mannes Zeus mit einer sterblichen Frau. Die gehörnte Hera belegt den Halbgott deshalb mit einem Fluch, der ihn viele Unschuldige töten lässt. Er vollbringt aber auch Heldentaten, übersteht Kriege und Angriffe – nur um am Schluss versehentlich von seiner Frau umgebracht zu werden.

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Mulan (1998)

Die Story über die Frau, die anstelle ihres Vaters in den Krieg zog, erzählt man schon seit dem 5. Jahrhundert. Und Disney blieb dem Original relativ treu. Ausser dass die Heldin bereits im Kampf ausgebildet war und deshalb mühelos in die Armee passte, in der sie zehn Jahre lang kämpfte. Von ihrer Rückkehr gibt es glückliche Versionen, aber auch eine tragische, in der sie sich umbringt, um einem Schicksal als Konkubine zu entgehen.

Der Glöckner von Notre Dame (1996)

Weisst du, wer hier der Bösewicht ist? Wenn es nach dem Original von Victor Hugo von 1831 geht, eindeutig Phoebus. Im Film mag er Esmeralda ein treuer Partner sein, im Buch nützt er sie nur aus und lässt sogar ihre Hinrichtung zu, die er leicht hätte verhindern können. So endet sie am Galgen. Der in Esmeralda verliebte Quasimodo gibt dafür Frollo – bei Disney das personifizierte Böse, im Buch ein vielschichtiger Charakter – die Schuld und bringt ihn um. Der Glöckner selber legt sich zu Esmeralda ins Grab, um dort langsam zu verenden. Wie düster!

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