Text: Claudia Hottiger / Foto: Alamy, Getty Images, Keystone
Männer gehen in die Herren- und Frauen in die Damenabteilung, ist ja klar. Eben nicht! Lange hat man Mode nach Geschlecht kategorisiert. Doch so wie wir uns langsam vom binären Geschlechter-System verabschieden, tun wir dies auch in der Mode: «Genderfluid Fashion» nennt sich der Trend, oder besser gesagt die Bewegung, die für ein und allemal die festgefahrenen, modischen Stereotypen aufbrechen will.
Unter dem Begriff versteht man Mode, die nicht mehr einem bestimmten Geschlecht zugeordnet wird. «Das ist wieder so ein modernes Zeugs», sagen die einen. «Von wegen!», sagen wir. Denn genderneutrale Kleidung gabs schon vorher.
Dass Frauen heute selbstverständlich Hosen tragen, haben wir Coco Chanel zu verdanken – oder Venedig. Denn weil die Modeikone das Einsteigen in die dort beliebten Gondeln mit Rock mühsam fand, schneiderte sie sich eine Hose: den Prototyp für die Frauenhose, die in den 1920ern als «Yachting Pant» in Serie ging – und die als Inbegriff für die weibliche Emanzipation stand. Zuvor waren Hosen lange den Männern vorbehalten. Zudem sagte Chanel dem Korsett den Kampf an und arbeitete stattdessen mit Baumwolljersey – damals DER Stoff für Männerunterwäsche. So nahm sie das in ihrer Mode auf, wofür damalige Frauenrechtlerinnen kämpften: Emanzipation. Den Trend zum androgynen Look brachte auch Marlene Dietrich in den 30ern nach Hollywood: mit Zylinder, Zigarette und Anzug. In den Sixties machte Yves Saint Laurent mit seinem «Le Smoking», dem ersten Hosenanzug für Frauen, einen weiteren Schritt in Richtung genderneutrale Mode – und dahin, dass Frauen heute ziemlich alles tragen können, was mal männlich konnotiert war.
Als der Gitarren-Virtuose Jimi Hendrix die Bühne in Samt, Rüschen und Bolero-Jäckchen betrat, hat sich wohl niemand gedacht: Uj, das ist jetzt aber weiblich. Und er war nicht das einzige männliche Sexsymbol, das sich in den 60er- und 70er-Jahren die Grenzen der Gender-Stereotypen so hinbog, wie es ihm gerade passte. David Bowie etwa schuf eine schrille Kunstfigur nach der anderen. Klar definierte Genderzuweisung? Nein, danke. Auch die Glam-Rock-Welle und die New Romantics in den 80ern liebten das Spiel mit dem Feuer beziehungsweise den Geschlechterrollen. So passierte vor allem auf den Bühnen der Welt ein Wandel in der Vorstellung, was als typisch männlich galt – unter anderem durch das Tragen von bis dahin «weiblich» gelesenen Kleidungsstücken. Ein Denkanstoss, den auch Designerinnen und Designer wie Jean-Paul Gaultier aufnahmen. Er schickte etwa Männer in Röcken über den Laufsteg. Und kämpfte so modisch gegen das, was wir heute als «toxische Männlichkeit» bezeichnen.
Dass Frauen heute sowohl im Kleidchen als auch mit oversized Klamotten und Sneakern rumlaufen, ist schon länger gang und gäbe. So fanden es die meisten auch total cool, dass Schauspielerin Kristen Stewart bei der diesjährigen Met-Gala mit cropped Blazer und Pluderhose aufschlug, während viele ihrer weiblichen Kolleginnen sich in die extravaganten Roben warfen. Doch dass männliche Stars wie Harry Styles mit ihren Outfits die «Männlichkeit» noch mal neu definieren, sorgt immer noch für den ein oder anderen Aufschrei. Auch wenn David Bowie und Co. eigentlich Vorarbeit geleistet hätten. Styles ist es wurscht. So wirft er sich in glitzernde Bühnenoutfits, trägt Perlenketten – oder wie auf dem Cover der Vogue ein Kleid von Gucci. Und er ist nicht der Einzige: Rapper Kid Cudi zeigt sich zum Beispiel auch gerne im Dress. Doch nicht nur die Stars greifen immer mehr zur «Genderfluid Fashion». Die Bewegung ist langsam, aber sicher auch im Mainstream angekommen. Viele Labels haben jetzt genderneutrale Kollektionen – und stossen somit ein gesellschaftliches Umdenken an, was Geschlechter-Stereotypen angeht.
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