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Liebe Leserinnen und Leser!
In schwierigen Zeiten wie diesen ist vor allem eines wichtig: Zusammenhalt und das Wissen, nicht alleine zu sein. Und was verbindet mehr, als gemeinsam für kurze Zeit dem Alltag zu entfliehen und auf eine gemeinsame Phantasiereise zu gehen?
Zusammen mit dem Diogenes Verlag schenkt 20 Minuten deswegen allen Menschen in der Schweiz jeden Tag ein Stück spannender Literatur zum gemeinsamen Schmökern. Wir publizieren täglich kostenlos ein Kapitel des fesselnden Krimi-Romans «Hunkeler in der Wildnis» des Aarauer Schriftstellers Hansjörg Schneider.
Lasst euch vom Lesevergnügen packen, teilt es mit euren Liebsten und vergesst nicht auf die kleinen Freuden im Leben. Bleibt gesund und passt auf euch und eure Mitmenschen auf!
Du warst nicht von Anfang an dabei? Kein Problem, hier findest du alle Kapitel.
Teil 17:
Hunkeler betrat Erkans Café. Er sah drei Personen dasitzen, die er kannte, weil er mit ihnen Boule gespielt hatte. Es waren alte Leute. Justine Schwartz, eine Chansonnière, die aus dem grenznahen Elsässer Dorf Neuwiller auf dem Moped hergefahren war, so wie sie das jeden Morgen tat. Luigi Realini aus Luino am Lago Maggiore, der am Kembserweg eine Gipserwerkstatt gehabt hatte und immer noch dort wohnte. Und Hugo Oberlin, ehemals Möbelschreiner an der Feldbergstraße in Kleinbasel, der in einem der Hochhäuser an der Flughafenstraße wohnte. Er war Obmann der Boulegruppe Kannenfeldpark.
»Kein Boulespiel heute?«, fragte Hunkeler.
»Non«, sagte Justine, »keine Lust heute. Ich nehme eine Zeitlang keine Boulekugel mehr in die Hand.«
»Wir wurden alle«, sagte Hugo, »auf den Waaghof zitiert und ausgefragt von einem Herrn Madörin, nicht gerade höflich. Beat Haberthür ist dann gleich verreist in sein Ferienhaus in Engelberg. Der Doktor Gratzer auch, der ist nach Wien abgehauen. Und Trudy Brechbühl in ihr Chalet im Oberwallis.«
»Recht hat sie«, sagte Justine. »Man wird nicht gern verdächtigt, einen Kollegen ermordet zu haben.«
»Wo ist Traufer?«, fragte Hunkeler.
»Der ist wieder draußen. Der musste drei Nächte auf dem Waaghof verbringen. Er hat geschworen, keinen Fuß mehr in den Park zu setzen. Er wird im Rheinbad sein, bei diesem schönen Wetter. Morgen Montag ist übrigens die Trauerfeier für Schmidinger, auf dem Hörnli. Kommst du auch?«
»Nein. Ich habe ihn gut gemocht. Aber ich will mit der Sache nichts zu tun haben.«
»Ach so?«, sagte Otto, der wie jeden Morgen mit Schirmmütze und Sonnenbrille an der Theke stand. »Das habe ich aber anders gehört.«
»Was hast du gehört?«
»Dass du dich bei einer Dame, die im Elsass an einem Bach wohnt, danach erkundigt hast.«
»Ach so, der Herr Hilfspolizist mit dem schönen Namen Caesar Augustus. Übrigens hätte ich eine Frage an dich. Wo bist du am letzten Sonntagmorgen gewesen, als die Sonne aufging? Hast du nicht einen Morgenspaziergang gemacht im Park? Weil du an chronischer Schlaflosigkeit leidest? Hast du nicht den toten Schmidinger gesehen, wie? Und später den dicken Hauser angerufen, um ein paar hundert Franken zu ergattern?«
Otto grinste und steckte sich eine Zigarette an.
»Was du alles weißt. Und alles erfunden in deinem senilen Bullenkopf.«
»Wie nennst du mich?«
»Jawohl, seniler Bullenkopf.«
Hunkeler sprang auf vom Stuhl, er wollte Otto an den Kragen. Da trat Erkan dazwischen.
»Seid ihr alle übergeschnappt? Hört sofort auf, ich habe Schwierigkeiten genug.«
Hunkeler setzte sich wieder. Was war das gewesen? Warum war er durchgedreht?
»Du hast recht«, sagte er. »Bring mir einen Kaffee.« Und zu Otto: »Entschuldigung. Ich habe die Nerven verloren. Soll nicht mehr vorkommen.«
Sie hörten alle zu, wie die tiefe Glocke der Antoniuskirche ausklang.
»Gut, dass Hans Tschudin das nicht mehr erleben muss«, sagte Hugo. »Wir waren eine friedliche Gruppe, bis jetzt.«
»Wer ist dieser Tschudin?«, fragte Hunkeler.
»Das war mein Vorgänger als Obmann. Er hat im selben Hochhaus gelebt wie ich, im zwölften Stock. Er war 85 Jahre alt, als er mit seiner Frau vom Balkon gesegelt ist.«
»Wie gesegelt?«
»Seine Frau hatte Krebs, unheilbar. Die beiden sind Hand in Hand hinuntergesprungen.«
Hunkeler trank einen Schluck Kaffee. Dann schüttelte er den Kopf.
»Was tue ich eigentlich hier? Was geht mich das an? Warum liege ich nicht im Rhein, lang ausgestreckt wie ein Baumstamm, und lasse mich treiben bis ins Meer hinunter? Kann mir das jemand sagen?«
»Weil du kein Fisch bist«, sagte Justine, »sondern ein pensionierter Polizist.«
»Ich soll dir übrigens einen Gruß ausrichten von Frau Dogan«, sagte Erkan. »Sie hat einen Anwalt. Er sagt, sie wird nicht ausgewiesen.«
Hunkeler nickte. Immerhin das. Sie schauten alle zu, wie unter einem Kastanienbaum Willy, der Storch, erschien. Er stakste vorsichtig heran, den Schnabel vorgestreckt, auf dünnen Stelzenbeinen. Bis zwei Kinder auf ihn losrannten. Der Vogel setzte sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit in Bewegung, hing nach wenigen Schritten in seinen Schwingen und flog davon. Die beiden Kinder hielten an, erschreckt von der unerwartet sich entfaltenden Schönheit.
»Wenn ich etwas äußern darf«, sagte Luigi, »obschon ich ein Italiener bin.«
»Ach, hör doch damit auf«, sagte Justine.
»Come no? Ich bin Italiener und bin stolz darauf.«
»Mais bien sûr, wir sind alle stolz.«
»Homo homini lupus. Das hat der englische Staatsphilosoph Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert gesagt. Es ist Latein und heißt: Der Mensch ist des Menschen Wolf.«
»Woher weißt du das?«
»Weil ich ein Buch über Hobbes gelesen habe.«
»Du als Gipser?«
»Ich bin Italiener, und Italiener haben Kultur.«
»Und was heißt das, der Mensch ist des Menschen Wolf?«
»Das heißt, dass die Glocken, die wir soeben gehört haben, bloß ein hilfloser Versuch sind, für kurze Zeit Frieden zu stiften. Kaum sind sie verklungen, schlagen sich die Menschen aufs Neue die Schädel ein.«
»Das ist ein dummer Satz«, sagte Hugo. »Wölfe schlagen sich gegenseitig nicht die Schädel ein und beißen sich nicht zu Tode. Davor bewahrt sie die Demutshaltung. Das habe ich in der Schule gelernt.«
»Darf ich jetzt endlich meine Geschichte erzählen?«
»Dann erzähl halt.«
Luigi nahm einen Schluck von seinem Campari.
»Viel weiß ich nicht von meinem Vater. Ich weiß nur, dass er ab 1941 als italienischer Soldat in Montenegro gekämpft und mich auf einem Heimaturlaub gezeugt hat. Und dass seine Einheit von Titos Partisanen gefangen genommen wurde. Die Partisanen sind dann eingekesselt worden. Und die italienischen Gefangenen haben mitgeholfen, die Verwundeten aus dem Kessel zu tragen. Worauf Tito die Gefangenen erschießen ließ. Aber nicht alle, einige sind entkommen. Das weiß ich von meinem Bruder Gianni, der in Turin Jurist war. Er meint, mein Vater sei damals tatsächlich am Leben geblieben. Das war in der Gegend zwischen den Flüssen Riva und Tara, die in die Drina und weiter unten in die Donau fließen. Dort hat sich diese Geschichte zugetragen.«
»Mon Dieu«, sagte Justine, »was für Schauergeschichten. Das ist doch längst vorbei.«
»Nein«, sagte Hunkeler, »erzähl weiter.«
»Mein Bruder war vor Ort in Montenegro, um sich zu erkundigen. Er meint, mein Vater habe sich in ein Dorf im Gebirge retten können. Er habe sich verliebt in eine einheimische Frau, die ihn versteckt habe. Bis dieses Dorf von der Waffen-SS dem Erdboden gleichgemacht wurde. Mein Bruder sagt, er habe in jener Gegend eine junge Frau gefunden, die gesagt hat, ihr Vater sei ein entlaufener italienischer Soldat gewesen und habe Realini geheißen. Später, als ich in Rente ging, bin ich selber hingefahren. Zwei Monate lang bin ich herumgewandert. Das Gebirge heißt Durmitor und ist wunderschön. Die Leute sind überaus freundlich und hilfsbereit. Aber niemand konnte sich an einen Signor Realini aus Luino erinnern.«
Er trank seinen Campari aus und stellte das leere Glas wieder hin.
»Ich hätte meinen Vater sehr gerne kennengelernt. Auch meine Halbschwester, wenn ich denn eine habe. Trotzdem lebe ich gern. Auch wenn jetzt mein Freund Heinrich Schmidinger totgeschlagen wurde, der seinen Vater ja auch im ehemaligen Jugoslawien verloren hat.«
»Wem hast du dies alles erzählt?«, fragte Hunkeler.
»Dem Herrn Madörin. Der wollte alles wissen.«
»Und dem dicken Hauser?«
»Ja, dem auch. Er hat mich auch ausgefragt.«
Hunkeler erhob sich von seinem Stuhl und trat auf die Burgfelderstraße hinaus. Er wollte sich bewegen, gehen, wandern. Weg von diesem Friedhof, wo die Toten aus den Gräbern stiegen und die Gemüter der Menschen verdüsterten, so dass sie nur noch von Mord und Totschlag redeten. Aber war dies nicht während Jahrzehnten sein Beruf gewesen? War es ein Zufall, dass er damals beim Kriminalkommissariat gelandet war und nicht zum Beispiel bei der Verkehrspolizei? Irgendetwas musste ihn schon damals an Mord und Totschlag interessiert, ja fasziniert haben. Aber was war das genau?
Er ging Richtung Innenstadt und sah vorne am Ende der Missionsstraße das mittelalterliche Spalentor aufragen. Das Dreiertram glitt vorbei, beschienen von der Morgensonne. Im Triebwagen saß ein altes Ehepaar, sonntäglich gekleidet. Beinahe hätte er den beiden zugewinkt. Da sie nicht zu ihm herüberschauten, ließ er es bleiben.
Die nächste Portion Lesevergnügen folgt morgen. Du findest sämtliche Kapitel hier im Kanal: 20min.ch/diogenes
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Teilnameschluss: 19. April 2020