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Liebe Leserinnen und Leser!
In schwierigen Zeiten wie diesen ist vor allem eines wichtig: Zusammenhalt und das Wissen, nicht alleine zu sein. Und was verbindet mehr, als gemeinsam für kurze Zeit dem Alltag zu entfliehen und auf eine gemeinsame Phantasiereise zu gehen?
Zusammen mit dem Diogenes Verlag schenkt 20 Minuten deswegen allen Menschen in der Schweiz jeden Tag ein Stück spannender Literatur zum gemeinsamen Schmökern. Wir publizieren täglich kostenlos ein Kapitel des fesselnden Krimi-Romans «Hunkeler in der Wildnis» des Aarauer Schriftstellers Hansjörg Schneider.
Lasst euch vom Lesevergnügen packen, teilt es mit euren Liebsten und vergesst nicht auf die kleinen Freuden im Leben. Bleibt gesund und passt auf euch und eure Mitmenschen auf!
Du warst nicht von Anfang an dabei? Kein Problem, hier findest du alle Kapitel.
Teil 26:
Als Hunkeler im Park über eine Wiese ging, hörte er, wie jemand eigenartig langgezogene Töne ausstieß. Sie kamen aus einem Thujagebüsch. Er ging hin und sah auf einem kleinen Teppich Joseph Bruderer sitzen, angetan mit braunem Pilgergewand nach Art der Franziskaner. Er sprach Verse, die er lange ausklingen ließ, bis jeder Hauch aus seiner Lunge entwichen war. Dann holte er aufs Neue Atem, sehr langsam, als wäre dieses Atemholen der Grund seiner Verzückung.
Hunkeler war hingerissen und lauschte.
Meiner Seele Morgenlicht, sei nicht fern,
o sei nicht fern!
Meiner Liebe Traumgesicht, sei nicht fern,
o sei nicht fern!
Sieh, wie mich der Turban schmückt, mich der Parsengürtel ziert,
Wie mich Kutt’ und Strick’ umflicht; sei nicht fern, o sei nicht fern!
Feuerdiener und Brahman’, Christ und Muselman bin ich,
Du bist meine Zuversicht, sei nicht fern,
o sei nicht fern!
»Was bedeuten die Verse, die Sie da aufsagen?«, fragte Hunkeler.
Bruderer erschrak und öffnete die Augen. »Das ist ein Ghasel, vom großen Rumi, der in der Stadt der Sufis, im türkischen Konya, begraben liegt.«
»Und warum sagen Sie es hier, in diesem Park, auf?«
»Der Ort ist unwichtig. Ich versuche, mich mit dem letzten Hauch mit der allumfassenden Gottheit zu vereinigen.«
»Mit Allah?«
»Ja, mit dem Allerbarmer.«
»Sollten Sie nicht Richtung Osten beten?«
»Doch, Richtung Mekka. Warum?«
»Weil Sie nach Norden beten.«
»Sind Sie sich da sicher?«
»Ja. Osten ist nicht in der Richtung, in der Sie knien. Mehr nach rechts.«
»Der Allerbarmer wird mir verzeihen. Allah ist überall, auch im Norden.«
»Darf ich Sie etwas fragen?«
»Das tun Sie ja die ganze Zeit.«
»Etwas Persönliches.«
»Meinetwegen. Aber nur, wenn Sie mir ein Thunfischbrötchen und einen Kaffee spendieren.«
»Gern. Gehen wir zu Erkan.«
Bruderer rollte seinen Teppich zusammen. Und Hunkeler staunte, wie elastisch der alte Mann über die Wiese ging, mit weit ausholenden, wiegenden Schritten wie ein Kamel.
»Wovon leben Sie eigentlich?«, fragte Hunkeler, als sie im Café saßen.
»Von Wasser, und vom Ein- und Ausatmen.«
»Genügt das?«
»Ich bin ein Bettelmönch. Jetzt zum Beispiel haben Sie mich eingeladen.«
»Wo wohnen Sie?«
»Mal da, mal dort. Im Sommer meist im Park.«
»Würden Sie sich als obdachlos bezeichnen?«
»Warum denn? Ich habe Obdach genug.«
»Zum Beispiel bei Frau Mangold?«
»Ach so, so sagen Sie es doch gleich. Bei Kälte kann ich im Keller bei Ruth unterkommen. Geheizt, mit Toilette und Dusche.«
»Was hat Heinrich Schmidinger dazu gesagt? Sie waren doch sein Vorgänger im Bett von Frau Mangold.«
Jetzt fasste ihn Bruderer zum ersten Mal genau ins Auge, mit klarem, heiterem Blick.
»Wie öde das ist, Herr Hunkeler. Wissen Sie das nicht? Was wir hier vor uns haben, Wiesen, Büsche und die Bäume, das ist Totenreich. Zum Glück, sonst wäre es längst zubetoniert. In Basel regiert die Geldgier. Die Geldsäcke, die Feinmechaniker des Kapitals. Die schlimmsten Blutsauger der Weltgeschichte, erst mittels der Basler Mission, dann mittels der Basler Chemie. Und alles im Namen des Bettelmönchs Jesus von Nazareth, der die Liebe zum Mitmenschen und zur Schöpfung gepredigt hat. Und Sie fragen mich, ob ich nicht eventuell den Schmidinger totgeschlagen haben könnte, weil er mir Ruth weggenommen hat. Warum hätte ich das tun sollen? Ich habe in Ketten gelegen, als ich mit Ruth zusammen war. Sie hat mich geknechtet. Weil ich ihr sexuell hörig war. Sie ist eine Fetischistin von Ei und Kugel. Wissen Sie das nicht?«
»Nein.«
»Besuchen Sie sie einmal, dann sehen Sie es. Nur Eier und Kugeln. Sie ist die Kugel, behauptet sie, der Mann das Ei. So wirres Zeug. Nein, ich bin dem Allmächtigen dankbar, dass er sie von mir weggenommen und an Schmidinger weitergereicht hat. Seither kann ich wieder frei atmen und mich auf das große Geheimnis konzentrieren. Dieses Geheimnis ist im Ein- und Ausatmen zu erahnen. Die Seele ist unfassbar wie die Luft. Sie schwebt in der Luft. Man atmet die Seele ein, man atmet sie aus. Mit dem letzten Atemzug stirbt man. Dann entlässt man die Seele für immer, man schickt sie auf eine Reise. Wohin diese Reise geht, weiß niemand. Sicher ist, dass sie nicht verlorengeht. Das ist die Weisheit der Sufis. Können Sie mir folgen?«
»Nicht ganz.«
»Warum nicht? Sie sind doch ein kluger Mann. Schauen Sie sich doch einmal um in der Geschichte Europas. Was wird bleiben davon? Eine Spur der Verwüstung. Jetzt machen sie auch noch die Luft kaputt, die Wohnung der Seelen. Deshalb mache ich nicht mehr mit. Ich habe mein Leben zum wandelnden Protest geformt. Ich will mittellos leben, wie Jesus von Nazareth, wie Franz von Assisi vor achthundert Jahren. Der heilige Franz kam ja aus sehr reichem Hause, hat alles verschenkt und ist bewusst zum Bettler geworden. Was der Kurie in Rom ganz und gar nicht gefallen hat. Sie haben ihn unter massiven Druck gesetzt, am liebsten hätten sie ihn wohl ans Kreuz geschlagen oder als Ketzer verbrannt. Aber das ging nicht, sie konnten keinen Bettler, der sich mit den Ärmsten der Armen solidarisierte, verbrennen. Franz war zu mächtig geworden, durch seine Armut.«
»Wollen Sie die heutige Welt durch Armut retten?«
Ein kurzes Lächeln flackerte auf in Bruderers Augen, erlosch aber gleich wieder.
»Ein schlechter Witz, ich weiß. Heute wollen ja alle die Armut bekämpfen. Das ist das, was sie sagen. Was sie tun, ist etwas ganz anderes. Noch mehr Geldgier, noch mehr Ausbeutung. Sie meinen vielleicht, ich sei größenwahnsinnig. Nein, bin ich nicht. Ich halte keine Predigten, will meine Wahrheit niemandem aufdrängen. Ich erzähle Ihnen das alles nur deshalb, weil Sie mich gefragt haben, wovon ich lebe. Aber ich bin überzeugt, dass unsere Erde nur durch selbstgewählte Armut, durch Bedürfnislosigkeit zu retten ist. Jedenfalls ist dies für mich der richtige Weg.«
Er wollte sich erheben, um sich zu verabschieden.
»Bleiben Sie bitte noch einen Moment«, bat Hunkeler. »Ich hätte noch eine Frage.«
»Ja bitte?«
»Wo haben Sie die Nacht verbracht, in der Heinrich Schmidinger erschlagen wurde?«
Die Heiterkeit war weg, eine plötzliche Zornesröte erschien auf Bruderers Gesicht.
»Was fällt Ihnen ein«, zischte er, »einen ehrbaren Mann zu beleidigen? Bin ich vogelfrei, nur weil ich zu Allah bete?«
Er fasste sich wieder und saß mit geschlossenen Augen da, als ob er in sich hineinsinken würde. Dann blickte er wieder auf, heiter und seiner selbst sicher.
»Ich habe hin und wieder mit Heinrich Boule gespielt, in hellen Mondnächten. So auch an jenem Abend, als er zu Tode kam. Auf dem Kiesplatz beim Schuppen der Stadtgärtner, wortlos, voller Konzentration. Es war ihm unmöglich, gegen mich zu gewinnen. Dazu war er viel zu verbissen am Werk, zu verkrampft. Die Kunst des Boulespiels besteht darin, die Kugel locker loszulassen, auf den Weg zu schicken und ausrollen zu lassen. Dann erreicht sie das Ziel. Ich war vollkommen locker an jenem Abend, ich fühlte mich aufgehoben im Licht des Mondes. Heinrichs Hand hingegen zitterte bei jedem Wurf. Und je länger er verlor, umso mehr zitterte sie. Bis er eine seiner Kugeln voller Wut gegen die alte Steinmauer schmiss. Da wusste ich, dass es für mich Zeit war, das Spiel abzubrechen und zu gehen. Denn ein guter Boulespieler lässt seine Wut niemals an der Kugel aus. Vielmehr achtet er die Kugel und hält sie in Ehren. Es hatte kurz vorher Mitternacht geschlagen, als ich ging.«
Wieder der klare, heitere Blick. Ein langes Ausatmen, als ob er eine schwierige, erlösende Beichte abgelegt hätte.
»Und wo haben Sie den Rest der Nacht verbracht?«
»Eigentlich wollte ich im Park übernachten, beim Thujabusch. Aber in jener Nacht habe ich den Park verlassen, weil ich mich vor Schmidinger gefürchtet habe. Er war so erregt, dass ich ihm alles zutraute.«
»Selbst einen tätlichen Angriff?«
»Auch dies, ja. Ich verließ den Park über die Burgfelderstraße und ging durch die Glaserbergstraße in den Keller von Ruths Haus. Dort bin ich sogleich eingeschlafen.«
»Sie haben nicht noch kurz mit Frau Mangold geredet in jener Nacht?«
»Nein. Ich habe bloß einen Schlüssel zum Keller.«
»Sie hätten klingeln können.«
»Wozu denn?«
»Um ein bisschen zu reden, gemeinsam ein Glas Wein zu trinken zum Beispiel.«
»Und auf das Auftauchen von Schmidinger zu warten? Nein danke.«
»Ach so, ja. Was hat denn der gemacht, allein mit den Boulekugeln in der dunklen Nacht?«
»Keine Ahnung. Ein trauriges Schicksal, in der Tat. Offenbar hat er in dieser Nacht seinen Meister gefunden.«
»Haben Sie das alles auch Herrn Madörin erzählt?«
»Aber gewiss. Es gibt keinen Grund, irgendetwas zu verschweigen. Ist das alles?«
»Ja, das ist alles. Und vielen Dank für die Auskunft.«
»Aber gerne. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihren weiteren Ermittlungen.«
Hunkeler schaute zu, wie Bruderer sich erhob, kurz lächelte und wiegenden Schrittes durch die Kastanienallee davonschritt.
Die Fortsetzung folgt morgen. Du findest sämtliche Kapitel hier im Kanal: 20min.ch/diogenes
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Teilnameschluss: 27. April 2020